2019-09-03
Politik/Medien-Kumpanei. Der politisch-mediale Komplex zelebriert das immer selbe Ritual: Es wird zur „Rettung der Volksparteien“ geblasen. Und die reale rechte Gefahr wird aktuell vor allem dafür genutzt, um die Verantwortung etablierter Redakteure, Lobbyisten und Politiker für die gegenwärtigen gesellschaftlichen Gräben zu kaschieren. – Dafür beschimpft man auch schon mal gerne die Wählerinnen und Wähler.
!Wo die AfD erfolgreich ist!
Markus Decker, Korrespondent beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) und Buchautor geht dafür ganz besonders streng mit ihnen um.
In Analogie dazu gehe ich streng mit ihm um und schrieb ihm einen Brief. Hier der Wortlaut:
From: j.beineke@t-online.de
Sent: Tuesday, September 3, 2019 11:47 AM
To: markus.decker@rnd.de
Subject: Ausgabe ‘Ruhr Nachrichten Werne’, 03.09.2019, Seite 2 | Missverständnisse zwischen Ost und West_ Die neue deutsche Spaltung
»Vielmehr erleben wir in Teilen Ostdeutschlands eine rechte Revolte, bei der die AfD als Instrument dient, Macht zu demonstrieren und Augenhöhe herzustellen. Die AfD ist ein Ergebnis der Spaltung und hat das Potenzial, die Spaltung zu vertiefen. Dabei ist die Wahl einer extremistischen Partei nie ein legitimes Mittel für irgendetwas. Wähler sind für ihre Wahlentscheidung verantwortlich und können diese Verantwortung nicht delegieren. Auf den Grundsatz kann es keinen Rabatt geben, wie deklassiert sich Wähler auch immer fühlen mögen – egal, ob in Ost oder West.«
Das hat uns noch gefehlt: Exponenten des politisch-medialen Komplexes beschimpfen AfD-Wähler.
Hallo Markus Decker,
was auch Ihr Beitrag wieder konsequent auslässt, ist der Hinweis auf das Versagen der gängigen politischen Parteien und Medien des Status quo, die eine signifikante Mitschuld für die desolate Situation tragen. Es besteht eine Korrelation zwischen Ihren Lehren der Vergangenheit und den heutigen Erfolgen der AfD. Und nun beschimpfen Sie die Wählerinnen und Wähler.
Mediale und politische Schreihälse führen sich in konzertierter Aktion auf, als hätte das alles nichts mit ihnen selbst zu tun. Ihre Lehren der Vergangenheit tragen Schuld daran, dass u. a. auch in Deutschland jene Gesinnung entstand, die sich die AfD zunutze macht. Sie lieferten den besten Nährstoff für diese Gesinnung.
Und jetzt präsentieren Sie uns eine pathologisch/amnestische Version, da Sie den systemischen Hintergrund des Geschehens ganz sicher bewusst auslassen (Sie sind nicht dumm genug, um den nicht zu kennen) und populistisch argumentieren: Kein Hinweis auf das ursächliche Versagen der gängigen politischen Parteien des Status quo, die eine signifikante Mitschuld für die desolate Situation tragen. Gehören Sie nicht selbst jener medialen Spezies an, die die Politik der gängigen politischen Parteien des Status quo bis zum Geht-nicht-mehr promotet hat und die sakrosankte Zauberformel „Globalisierung“ wie elektrisiert in alle Wohnzimmer trug?
Aber der politisch-mediale Komplex zelebriert das immer selbe Ritual: Medial wird zur „Rettung der Volksparteien“ geblasen. Die reale rechte Gefahr wird aktuell vor allem dafür genutzt, um die Verantwortung etablierter Redakteure, Lobbyisten und Politiker für die aktuellen gesellschaftlichen Gräben zu kaschieren.
Wir brauchen keine Politik, die zwischen Ost und West unterscheidet, sondern ein Gesamtkonzept für die Bevölkerung der BRD unter Berücksichtigung regionaler Identitäten. Es geht darum, ein Gemeinwesen zu gestalten. Das „Parteienkartell aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE“ aber hat Politik nahezu ausschließlich als Wirtschaftsförderung betrieben, hierfür Biographien prekarisiert und wurde dabei von den Medien mit Chorgesang begleitet. Das Ergebnis: 45 Deutsche besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung.
Und während der politisch-mediale Komplex die Themen vorgibt, die wir zu diskutieren haben und Unternehmen und Kapitalwirtschaft das Geld in den Hintern schiebt, beklaut er die Bevölkerung auf der ganzen Linie.
Ein wunderschönes Beispiel: Die deutsche Einigung, in Wahrheit der Anschluss der DDR an die BRD war insofern ein gigantisches Förderprogramm für die deutsche Wirtschaft, als sie über den Soli aus Steuererträgen der arbeitenden Bevölkerung und aus deren Sozialversicherungen finanziert wurde. Die Unternehmen haben abkassiert.
Und nicht nur beim Billionen-Projekt Deutsche Einheit:
Politisch gewollte, einseitige Steuergeschenke für Arbeitgeber, Industrie und Finanzwirtschaft durch Steuergesetzesänderungen für die Zeit zwischen 1998 und 2013 in Höhe von ca. 490 Milliarden Euro mussten kompensiert werden (Bontrup: Durch Umverteilung von unten nach oben in die Krise, Seiten 15 – 16.). Die politische Verantwortung hierfür lag von 1998 bis 2005 bei Rot-Grün, bei Schwarz-Rot von 2005 bis 2009 und bei Schwarz-Gelb von 2009 bis 2013 des „Parteienkartells aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEn“
Bei den vielen Fragen, die Journalisten nach den beendeten Wahlen an die Politiker richteten, fehlte die entscheidende Frage nach deren signifikanter Mitschuld an dem grandiosen Wahlerfolg der AfD, nicht nur in Brandenburg und Sachsen. Diese entscheidende Frage stellten sie vermutlich nicht, denn sie müsste ihnen ja gleichermaßen gestellt werden.
Und diese Frage stellen auch Sie nicht!
Die AfD, und auch das lassen Sie bewusst weg, profitiert auch von ihrer soliden Verankerung in etablierten sozialen Milieus. So kann sie seit ihrer Gründung auf Unterstützung aus dem deutschen Mittelstand bauen, der in Teilen von der Europäisierung der Politik weniger profitiert als große Konzerne und zugleich jegliche finanzielle Belastung im Kampf gegen die Eurokrise klar ablehnt. Breite Zustimmung erfährt die Partei aus der Bundeswehr, in der ihre Forderungen nach rascher Aufrüstung und umfassender Militarisierung honoriert werden - nicht nur von Militärs, die dem Milieu der offenen extremen Rechten zugeordnet werden, sondern auch von Offizieren. Beliebt ist die AfD zudem in der Polizei, in der ihre Law-and-Order-Politik gut ankommt. Mit der Berliner Regierungspolitik sind die Forderungen der AfD nicht prinzipiell unvereinbar.
Und, bitte, lassen Sie Ihre unerträgliche Ost/West-Agitation: Die Ergebnisse sind keine spezifischen Ost-Ergebnisse. Die AfD hat auch in abgehängten Regionen des Westens überdurchschnittliche Stimmenanteile. Der Unterschied ist, dass es im Osten mehr von diesen Regionen gibt.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Beineke
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